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  • wallerniels

Darum musst du Details in deiner Erzählung weglassen

Ich musste neulich mal wieder an den guten alten Terry Pratchett denken. Und wie er das immer so gemacht hat, mit dem allwissenden Erzähler. Und was das mit mir macht, in Bezug auf die Scheibenwelt – im Sinne des Worldbuilding oder eher das In-die-Welt-Eintauchen.

Aber der Reihe nach.

Terry Pratchett hat mich eigentlich zum Schreiben animiert. Dass sich Fantasy und witzige Einfälle nicht ausschließen müssen hat mir wiederum Mut gemacht hat, meine eigenen Geschichten zu schreiben.

Aber trotz aller Fanboy Attitüden hat mir immer etwas gefehlt. Ich war nie so ganz drin in der Scheibenwelt. Und ich glaube der Grund ist die Erzählperspektive.

Terrys Erzählperspektive

Hier ist mal ein typisches Beispiel wie Terry Pratchett einen Ort in der Scheibenwelt beschreibt, Rincewind, Zweiblum und der Barbar Hrun haben grade den Wyrmberg erreicht:

Magie stirbt nie. Sie verblaßt höchstens. Das wurde vor allem dort auf der blauen Scheibenwelt deutlich, wo kurz nach der Schöpfung die Magischen Kriege stattgefunden hatten. Damals existierte überall pure Zauberei, und die Ersten Menschen nutzen diese Kraft im Kampf gegen die Götter. Der eigentliche Anlaß dieser Kriege ging im Nebel der Zeit verloren, aber die Philosophen vetreten in diesem Zusammenhang die Ansicht, dass die Ersten Menschen kurz nach der Schöpfung aus verständlichen Gründen in Wut gerieten. Daraufhin erfolgten erbitterte Auseinandersetzungen mit vielen beeindruckenden Spezialeffekten: Die Sonne raste über den Himmel; die Meere kochten; unheimliche Stürme verheerten das Land; kleine weiße Tauben erschienen auf geheimnisvolle Weise in bestimmten Kleidungsstücken; die Stabilität der ganzen Scheibenwelt geriet in Gefahr. Schließlich griffen die Alten Erhabenen ein, denen selbst die Götter Rechenschaft schuldig sind. Sie beschlossen strenge Maßnahmen, verbannten die Götter in den Himmel und sorgten dafür, dass die Menschen ein ganzes Stück kleiner wurden. Anschließend saugten sie einen großen Teil der alten Magie aus dem Boden. Das löste jedoch nicht die Probleme jener Orte auf der Scheibenwelt, die während der Kriege von strategischen oder taktischen Zaubersprüchen getroffen worden waren. Im Lauf der Jahrtausende verblasste die Magie und setzte dabei Myriaden von subastralen Partikeln frei, die in ihrem Wirkungsbereich starke Verzerrungen der Realität hervorriefen… T. Pratchett. Die Farben der Magie.

Der allwissende Erzähler

Terry Prattchett nutzt ganz stark den allwissenden Erzähler, um uns seine Welt zu zeigen. Im Text oder auch gerne als Fußnote.

Und wer nutzt noch ganz stark einen allwissenden Erzähler? Tolkien. Das hat vermutlich bei beiden mit ihren englischen Wurzeln zu tun, der allwissende oder auktoriale Erzähler ist stark in der viktorianischen Literatur verwurzelt ist.

Aber Mittelerde hat mich immer stark gefesselt und in seinen Bann gezogen, denn Tolkien geht das etwas anders an.

Hier mal ein Zitate aus dem Herrn der Ringe, wo Streicher mit den Hobbits am Fuß der Wetterspitze sitzt:

„Nein. Es gibt kein Hügelgrab auf der Wetterspitze, und auch auf keinem anderen dieser Berge“, antwortete Streicher. „Die Menschen des Westens lebten hier nicht; obwohl sie in späterer Zeit die Berge eine Weile gegen das Böse verteidigten, das aus Angmar kam. Dieser Pfad wurde zur Versorgung der Festen entlang der Schutzwälle gebraucht. Aber viel früher, in den Tagen des Nördlichen Königreiches, bauten sie einen großen Wachturm auf die Wetterspitze, Amon Sûl nannten sie ihn. Er wurde niedergebrannt und geschleift, und nichts blieb von ihm, als ein zusammengestürztes Rund wie eine rauhe Krone auf dem Kopf des alten Berges. Doch war er einst hoch und schön. Es heisst, dass Elendil dort stand, als er Ausschau hielt nach Gil-galad, der aus de Westen kommen sollte in den Tagen des letzten Bündnisses.“ Die Hobbits starrten Streicher an. „Wer war Gil-galad?“ fragte Merry. J.R.R. Tolkien. Der Herr der Ringe, Band I, Die Gefährten, S. 230

Und merkst du den Unterschied. Ich habe extra zwei Stellen herausgesucht, die ein wenig die Welt beschreiben.

Es geht in den beiden Szenen nicht um den Ton, wie die Geschichte erzählt wird, sondern darum, durch wen wir die Welt sehen und was derjenige alles weiß und wie wir als Leser die Welt erleben. Kurz die Erzählperspektive.

Worldbuilding

Was machst du, bevor du die eigentliche Geschichte erzählst?

Du entwirfst die Biographie deiner Protagonisten, skizziert die Entwicklung, die sie in der Geschichte nehmen sollen und stellst dir Fragen zu Bildinhalten und Design.

Alles, damit die Geschichte in sich schlüssig ist und du auf jede Situation in die dein Held gerät eine Antwort hast. Sonst wirkt die Geschichte klischeebeladen, generisch und nicht plausibel.

Du baust die Welt, bevor du anfängst zu schreiben. Das kann umfangreich sein, wenn du das neue Game of Thrones schreiben willst oder nur eine flüchtige Skizze der näheren Umgebung, wenn du an einem Kinderbuch arbeitest.

In Tolkiens Welt eintauchen

Tolkien war ein fantastischer Weltenerbauer. Er hat sich nicht nur die Geographie, Geschichte und Sprachen von Mittelerde ausgedacht und die Biografien der Helden und Antagonisten.

Denn auch wenn er sich mit Liedern und langen Beschreibungen teilweise etwas zu sehr auslässt, erleben wir Mittelerde hauptsächlich durch die Brille der Hobbits, die nicht alles kennen oder verstehen.

Wir wissen häufig nur, was sie wissen und nicht mehr. Und das schafft in meinen Augen diesen Zauber – man wird Teil der Welt und kennt quasi nur die Eisspitze von all dem, das sich Tolkien ausgedacht hat.

Die Art wie man als Leser die Scheibenwelt erlebt ist dagegen eine ganz andere.

Terry Pratchetts Faible für Fußnoten

Terry Pratchett nutzt fast immer einen allwissenden Erzähler, der einem beständig über die Welt aufklärt, meist noch ergänzt in zahlreichen Fußnoten. Gut, wahrscheinlich ging es Terry Pratchett auch nicht so sehr um die Tiefe seiner Welt ging, sondern eher darum witzige Einfälle zu beschreiben.

Ich will die Stile auch gar nicht mit gut oder schlecht bewerten.

Aber die unterschiedliche Wirkung, die das auf mich als Leser hat, finde ich wichtig. Ich tauche in Terry Pratchetts Welt nicht ein, da es für mich nichts zu entdecken gibt. Es ist eher so, als würde ich eine Dokumentation schauen.

Wir drehen die Erzählperspektive um

Ich habe spaßeshalber mal probiert, die beiden obigen Szenen im jeweils anderen Stil zu verfassen. Lassen wir doch mal den allwissenden Erzähler den Tolkien Plot erzählen:

Die Wetterspitze ist ein ganz beeindruckender Berg in Mittelerde. Zwar lebten die Menschen des Westens hier nie, aber sie verteidigten die Berge eine Weile gegen die Truppen des Hexenkönigs aus Angmar, der, wie später bekannt wurde, in Wirklichkeit der oberste Ringgeist war und der die drei nördlichen Teilreiche der Menschen des Westens vernichten sollte. Der Pfad diente zur Versorgung der Festen entlang dieses Schutzwalles. Noch sehr viel früher, in den Tagen des Nördlichen Königreich, welches von den Numenôrern nach dem Untergang ihrer Insel gegründet worden war, befand sich hier der Wachturm Amon Sûl. Dort stand Elendil und wartete auf den Elbenkönig Gil-galad in den Tagen des letzten Bündnisses.

Und anschließend erklärt der Magier Rincewind dem Touristen Zweiblum die Magie des Wyrmbergs.

„Nein Magie stirbt nie. Sie verblasst höchstens. Was du hier spürst sind Relikte der Magischen Kriege, die kurz nach der Schöpfung stattgefunden haben. Als die Ersten Menschen gegen die Götter gekämpft haben“, Rincewind stand nun auf und schwenkte seine Arme wild umher. „Stell es dir vor Zweiblum, wie es zugegangen sein muss, die Sonne raste über den Himmel; die Meere kochten; unheimliche Stürme verheerten das Land; kleine weiße Tauben erschienen auf geheimnisvolle Weise in bestimmten Kleidungsstücken; die Stabilität der ganzen Welt geriet in Gefahr.“ „Und dann, was passierte dann?“, Zweiblum starrte ihn an. „Das weiß ich nicht. Die alte Magie existiert heute nicht mehr, sie ist im Lauf der Jahrtausende verblasst und setzt nur noch Myriaden von subastralen Partikeln frei… Hrun kaute nachdenklich auf seiner Wildschweinkeule: „Wasch schind Müriaden von Suppenschtrahlen Pattigeln?“

Fazit

Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich finde es um Längen besser, wenn der Protagonist die Welt erklärt und sie teilweise gar nicht so genau kennt?

Dadurch entsteht etwas Geheimnisvolles und ich habe Lust, mehr zu erfahren. Beim Doku Stil hingegen, wo man alles vorgekaut bekommt, bleibe ich reiner Betrachter und lege das Buch zwar mit einem Lächeln, aber ohne angeregte Fantasie beiseite.

So das war’s es mit diesem Gedanken zur Erzählperspektive. Schreib spannend, langweilig gibt’s schon genug.

Dein Niels

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